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Selbstvertrauen, Selbstwert und Selbstbewusstsein: Viele Menschen hätten davon gerne ein bisschen mehr. Oft meint jemand, der einen der drei Begriffe verwendet, ein- und dasselbe. Doch in Wirklichkeit hat jeder von ihnen eine ganze eigene Bedeutung, und es lohnt sich, sie genauer zu betrachten. In diesem ausführlichen Beitrag erfährst du, wie diese Eigenschaften entstehen, warum sie bei so Manchem zu fehlen scheinen – und was du selbst ganz konkret tun kannst, um sie bei dir selbst zu stärken – und, falls du Kinder hast, wie du sie dabei auf gesunde Weise unterstützt.

Woher kommen Selbstvertrauen, Selbstwert und Selbstbewusstsein?

Das „Selbst“: Damit beginnen alle drei Qualitäten. Um sie zu entwickeln, ist also ein Selbst, ein Ich – man könnte auch sagen, eine Identifikation mit sich selbst – notwendig. Niemand von uns ist damit geboren worden. Als Neugeborenes nehmen wir unser Umfeld über unsere Sinne unmittelbar wahr. Teilweise müssen sich diese Sinne erst entwickeln und schärfen. Aber wir beziehen diese Wahrnehmungen nicht auf uns selbst. Das, was da wahrnimmt, könnte eher als ein unpersönliches Gewahrsein bezeichnet werden. Erst mit den Jahren entsteht ein Selbst, das sich durch Anpassung, Nachahmung, Konditionierung und Gewohnheit immer mehr ausdifferenziert.

Zuerst prägt sich also diese Selbstbezüglichkeit aus. Auf ihrer Basis können Selbstvertrauen, Selbstwert und Selbstbewusstsein entstehen. Alle drei Qualitäten sind enorm wichtige und lebensbestimmende Eigenschaften eines Menschen. Ohne sie können wir kein selbstbestimmtes und erfülltes Leben führen. Wir wären eher Spielbälle des Zufalls und der Umgebung oder unterlägen völlig unseren Trieben und Impulsen. Andere könnten mit uns machen, was sie wollen. Wir würden alles glauben, was sie sagen, und würden sehr leicht Opfer von Manipulation. Wir wären nicht selbstständig und autonom, wüssten nicht, was wir wollen und hätten keinerlei Ausrichtung. Welche Auswirkungen das auf unseren Platz in der Gesellschaft, unser Einkommen, unsere Lebensfähigkeit und auch die Lebensqualität hätte, kann sich jeder leicht ausmalen. Eine komplexe Gesellschaft, wie unsere, wäre ohne Selbstvertrauen, Selbstwert und Selbstbewusstsein undenkbar.

Wie entsteht ein gesundes Selbst?

Bei der Selbstwerdung kann einiges schief gehen. Was sollten Eltern oder Vormünder tun, damit gesunde, eigenständige und soziale Menschen entstehen? Um es vorweg zu nehmen: Es ist gar nicht viel, was sie tun müssen. Die Frage ist eher, was sie nicht tun sollten, denn oft wird eher viel zu viel getan. Dies geschieht manchmal aus bester Absicht heraus, ist aber nicht immer zum Besten des Kindes. Jedes Kind hat, wie alle Menschen in jedem Lebensalter, zwei grundlegende Bedürfnisse: Bindung und Wachstum. Beides haben sie schon im Mutterleib erfahren, und sie erwarten, dass es nach der Geburt so weiter geht.

Daraus ergibt sich für die Erwachsenen: Kindern sollte der Raum gelassen werden, sich selbst zu erfahren und auszuprobieren (Wachstum). Heranwachsende sind aus sich selbst heraus hoch motiviert zu lernen. Sie fassen alles an, probieren alles aus, so wie es ihrem Alter entspricht. Sie möchten an Erlebnissen teilhaben und Dinge versuchen. Sie sind neugierig und interessiert, und sie müssen nicht erst dazu gebracht werden.

Das Interesse und die Begeisterung beim Erforschen der Welt führen dazu, dass die Kinder das Gelernte behalten. Ist eine neue Information oder Erfahrung mit einem positiven Gefühl verbunden, wird sie so im Gehirn gespeichert, dass sie dauerhaft abrufbar bleibt. Erst, wenn ein Erwachsener meint zu wissen, was gut für das Kind ist und es ihm gegen dessen eigenes natürliches Empfinden aufdrängt, entsteht Widerstand. Wer hat dies nicht spätestens in der Schule selbst erfahren? Ist aber das Gelernte mit Angst oder Druck verbunden, wird es in dem Gehirnbereich gespeichert, der für Angst und negative Gefühle zuständig ist.­­­­­­­­

Zum anderen braucht jedes Kind liebevolle Akzeptanz (Bindung), um sich entwickeln zu können. Das heißt, Kinder wollen um ihrer selbst willen geliebt werden. Und sie brauchen natürlich altersgerechten Schutz. Viele Kinder haben heute leider eine voll durchorganisierte Freizeit. Sie sollen möglichst früh möglichst viel lernen, damit später sicher etwas aus ihnen wird. Diese Haltung unterstellt, dass aus Kindern etwas gemacht werden müsste. Nein, sie sind bereits etwas beziehungsweise jemand, und sie brauchen lediglich Unterstützung darin, sich selbst zu entfalten. Es ist wichtig, dass sie viel Zeit für sich selbst haben, um sich mit Freuden zu treffen oder draußen zu spielen. Dabei dürfen sie sich auch langweilen. Oft entwickeln sich erst dabei kreative Ideen. Es ist fatal, wenn Eltern ihren Kindern zu viel vorgeben oder ihnen Dinge aus der Hand nehmen, um ihnen zu zeigen, was wichtig ist und wie es richtig gemacht wird. Unterstütze deine Kinder, interessiere dich für sie und beantworten ihnen ihre Fragen.

Fazit: Kinder brauchen nicht zu etwas gemacht zu werden. Sie sind bereits vollständig, sozial, lernbereit, empathisch und hilfsbereit. Alles, was Kinder brauchen, ist eine liebevolle und beschützende Begleitung und einen Raum sich selbst zu erproben.

Selbstvertrauen

Selbstvertrauen bedeutet, grundsätzlich sich selbst und den eigenen Fähigkeiten zu vertrauen. Dazu gehört die eigene Gewissheit, mit den Herausforderungen, die das Leben bringt, fertig zu werden. Das schließt ein, Hilfe zu beanspruchen, wenn es nötig ist. Menschen mit Selbstvertrauen versuchen Neues, lassen sich auf andere Menschen ein und treten sicher auf. Sie wissen, was sie wollen und finden einen Weg, es zu erreichen. Dabei sind sie offen für Anregungen und Ideen anderer. Sie prüfen kritisch, was andere sagen oder tun, und können sich klar abgrenzen. Sie haben mehrere Interessen und gehen ihnen nach, weil sie begeisterungsfähig sind.

Wenn Selbstvertrauen fehlt

Menschen mit geringem Selbstvertrauen sind eher vorsichtig und halten sich zurück. Sie sind weniger offen für Neues und führen eher ein konservatives Leben. Sie haben eine Neigung zu Idolen, die verwirklicht haben, was sie selbst für sich wünschen, und orientieren sich an ihnen in ihrem Denken und Handeln. Sie folgen lieber anderen Menschen, von denen sie sich unterstützt und bei denen sie sich sicher fühlen. Sie schauen sich bei anderen ab, wie sie leben wollen, und folgen eher  Konventionen, ohne diese zu überprüfen. Sie arbeiten unter Anleitung besser als selbstständig. Zustimmung und Anerkennung geben ihnen Kraft und Bestätigung.

Was ist geschehen, wenn Selbstvertrauen fehlt?

Mangelndes Selbstvertrauen ist kein persönliches Verschulden und auch kein unbehebbarer Defekt. Der Fehler liegt eher in der Umgebung, in der sich dieser Mensch entwickelt hat. Er hatte nicht genug Raum, sich selbst zu erproben und erfahrungsbezogen zu lernen. Es sind ausschließlich eigene Erfahrungen, die Selbstvertrauen aufbauen. Wer sich nie getraut hat, über einen hohen Zaun zu klettern, weiß nicht, wie es geht, und wird es später sicher auch nicht versuchen. Bei der Entscheidung, es nicht zu tun, klangen wahrscheinlich die elterlichen Worte im Hinterkopf: „Sei vorsichtig“, „tu dir nicht weh“, „du bist immer so ungeschickt“ oder „Mach keinen Unsinn!“

Möglicherweise warnte vorher schon die Mutter das junge Kind, nicht bis ganz oben auf das Klettergerüst zu steigen, weil sie selbst ängstlich ist: Es könne ja runterfallen und sich verletzen. Sie hat ihre eigenen Beschränkungen auf das Kind übertragen und Zweifel in ihm gesät, die von selbst nicht in ihm entstanden wären. Kinder wissen meist selbst sehr genau, was sie können. Auch wenn der Vater dazu neigt, dem Kind etwas aus der Hand zu nehmen, um zu zeigen, wie es richtig gemacht wird, wird das Selbstvertrauen untergraben. Es bekommt so nicht die Chance, es selbst auszuprobieren. Etwas mehrere Male etwas falsch zu machen ist lehrreicher, als wenn man nur eine Lösung vorgemacht bekommt.

Eltern, die ihren Kindern zu viel abnehmen oder ihnen zu viel vorschreiben höhlen das Selbstvertrauen des Kindes auf perfide Weise aus. Das Gleiche geschieht aber andererseits auch – was vielen Menschen überhaupt nicht bewusst ist –, wenn sie übertrieben loben. Sie denken, sie tun dem Kind etwas Gutes, doch sie tun genau das Gegenteil. Sie vermitteln ihm ein falsches Bild über seine Fähigkeiten. Überfürsorgliche Eltern bieten dem Kind nicht die Möglichkeit, eine eigene Persönlichkeit zu entwickeln. Es darf vielleicht nicht selbst entscheiden, was es anzieht, oder es darf sich nicht schmutzig machen. Sie suchen seine Freunde und Interessen aus, sie verplanen seine Zeit, sie lösen seine Konflikte oder schützen es davor und so weiter. Wie soll jemand, der so aufwächst, jemals Vertrauen in sich selbst entwickeln?

Was ist zu tun, wenn Selbstvertrauen fehlt?

Was auch immer in der Vergangenheit schief gelaufen sein mag, dass sich kein ausreichendes Selbstvertrauen aufgebaut hat: Es muss auf keinem Fall so bleiben. Wir Menschen sind immer in der Lage, unsere inneren Qualitäten zu ändern oder zu stärken. Oft höre ich Sätze wie: „So bin ich halt.“ oder „Ich bin eine Mensch, der …“ Dabei sind wir als Wesen nie endgültig definiert. Wir können unsere Innenwelt gestalten und Dinge, unter denen wir leiden, ändern. Erwachsen zu sein bedeutet, sich selbst zu hinterfragen und Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. Das heißt zu seinen Defiziten zu stehen und aktiv etwas zu tun, diese zu ändern. Das ist viel leichter, als die meisten denken. Ich erlebe dies täglich in meiner Praxis.

Um mangelndes Selbstvertrauen loszuwerden ist es vor allem notwendig, die Gefühle, Überzeugungen und Erlebnisse zu bearbeiten, die in der Vergangenheit entstanden sind und die zu diesem Zustand geführt haben. Es müssen die Gefühle der Verletzung, der Zurückweisung, der sich wiederholenden Enttäuschungen, der Hilflosigkeit und so weiter geheilt werden. Es gilt die Glaubenssätze wie „ich kann nichts“, „alles, was ich anfasse geht schief“, „ich weiß gar nicht, wer ich bin“ und dergleichen in konstruktive Überzeugungen zu ändern.  Zudem muss den Erlebnissen in der Vergangenheit rückwirkend die emotionale Ladung genommen werden, sodass diese Gefühle nicht mehr in die Gegenwart hinein wirken. Dafür gibt es heute hervorragende Methoden.

Mittels dieser Arbeit auf innerer Ebene ändern sich das Selbstgefühl und das Denken. Dadurch fällt es viel leichter anders als vorher zu handeln. Es kann sein, dass dies aufgrund der emotionalen und mentalen Veränderungen fast wie von selbst geschieht. Es ist enorm wichtig, die neuen, absichtlich kreierten Denkmuster in aktive Handlungen umzusetzen. Denn dabei werden die Erfahrungen gemacht, die in der Vergangenheit fehlten und zeigen, dass man heute tatsächlich in der Lage ist, bestimmte Dinge zu tun. Es ist jetzt beispielsweise möglich, Fremde anzusprechen, Dinge zu tun, die man sich vorher nicht getraut hat, im Job selbstständiger zu arbeiten und mehr Verantwortung zu übernehmen, sicher aufzutreten oder den eigenen Standpunkt zu vertreten. Du zeigst, wer du bist,  und sprichst aus, was du denkst. Du vertraust dir selbst und hast Lust vorwärts zu gehen. Nebenbei werden sich viele Ängste und Sorgen, die du vorher vielleicht hattest, auflösen.

Selbstwert

Hierbei geht es natürlich nicht um den Wert eines Menschen. Das Dasein alleine gibt ihm unverhandelbaren Wert und Würde. Es gibt keine Abstufungen zwischen verschiedenen Menschen. Es geht auch nicht darum, für wie wertvoll sich jemand selbst hält. In solch einem Fall sollte das aufgeblasene Ego therapiert werden, falls dies überhaupt noch möglich ist. Es geht darum, wie du zu dir selbst stehst und wie dich selbst einschätzt. Dein Selbstwert spiegelt grundsätzlich wieder, wie du deinen Platz in der Welt einnimmst, ihn ausfüllst und wie du dich dabei fühlst. Aber es geht auch darum, wie du selbst zu deinen Fähigkeiten stehst, wie du sie anwendest und welchen Nutzen du oder die anderen davon haben.

Menschen, die einen gesunden Selbstwert haben, kennen ihren Platz in der Welt. Sie wissen, was sie wollen und sind ausgerichtet. Sie wissen, was sie zur Gemeinschaft beitragen können und bekommen dafür einen entsprechenden Gegenwert, so dass sie frei von Mangel leben können.

Wenn Selbstwert fehlt

Menschen mit einem verminderten Selbstwertgefühl fühlen sich oft nicht gut mit der Welt verbunden. Daher fühlen sie sich unsicher und empfinden oft eine unterschwellige Bedrohung. Sie empfinden sich oft als benachteiligt oder als Opfer derjenigen, die vermeintlich mächtiger sind oder denen es besser geht. Um das Minderwertigkeitsgefühl zu kompensieren, können gerade solche Menschen dazu neigen, andere abzuwerten oder zu diskriminieren. Dadurch, dass sie andere als weniger wert definieren, erheben sie sich in ihrem Selbstverständnis, denn es gibt jemanden, der noch weniger wert ist als sie selbst. Interessant ist, dass das Minderwertigkeitsgefühl nicht unbedingt mit dem eigenen materiellen Besitz zu tun haben muss. Es gibt reiche Menschen, die sich trotz ihres Überflusses minderwertig und leer fühlen.

Oft ist es so, dass die Betroffenen hinter ihren eigenen Möglichkeiten zurück bleiben. Beispielsweise werden sie für Ihre Leistung nicht entsprechend bezahlt oder fordern selbst zu wenig dafür. In meiner Praxis habe ich immer wieder Selbstständige, die sich scheuen für ihre Arbeit ein entsprechendes Honorar einzufordern. Sie sind nicht vom Wert ihrer eigenen Leistung überzeugt oder fürchten, ihre Kunden mit vermeintlich überzogenen Forderungen zu vergraulen. Sind jedoch die Gründe für die Selbstzweifel beseitigt, lösen sich diese Probleme meist.

Was ist geschehen, wenn Selbstwert fehlt?

Menschen, denen es an Selbstwert mangelt, haben in ihrer Entwicklung erlebt, dass ihr Bedürfnis nach Bindung nicht erfüllt wurde. Sie fühlten sich nicht um ihrer selbst willen geliebt. Die Erfüllung dieses Bedürfnisses ist für Babys und kleine Kinder essentiell. Die Gründe, warum die Eltern oder der Vormund nicht in der Lage waren, die nötige Liebe zu geben, können sehr unterschiedlich sein. Oft haben sie selbst keine Liebe erlebt und können sie deswegen nicht weitergeben. Oder ein wichtiges  Elternteil ist depressiv. Es hat eh schon genug mit sich selbst zu kämpfen, und da ist ein Baby noch eine zusätzliche Belastung. Viele Eltern, die ihren Kindern keine Liebe geben können oder sich nicht genug Zeit dafür nehmen, versuchen dies mit Geschenken auszugleichen. Doch das funktioniert nicht. Menschliche Bindung ist durch gar nichts anderes zu ersetzen.

In einer Therapiesitzung erinnerte sich eine Klientin daran, dass sich ihr Vater nicht für sie interessierte, als sie ein kleines Kind war. Er ignorierte sie und gab ihr keinerlei Aufmerksamkeit. Es wurde ihr in der Sitzung bewusst, wie sie sich damals fragte, wie das sein könne, denn sie liebt ihn ja. Um diesen inneren Konflikt aufzulösen fand sie eine Erklärung für sich: Ich bin falsch. Diese Überzeugung trug sie ihr ganzes Leben lang in sich. Jeder kann sich ausmalen, wie sich das auf das Leben auswirkte und was das mit dem Selbstwert macht. Nach dieser Sitzung änderte sich einiges in ihrem Leben.

Natürlich kann auch abwertendes Verhalten anderer dem Selbstwertgefühl massiv schaden – beispielsweise wenn Eltern ihren Kindern direkt sagen, „du bist doof“, „du kannst nichts“, „stell dich nicht immer so dumm an“ und so weiter. So etwas gibt es leider häufiger, als man vielleicht denkt. Dabei müssen die Eltern das nicht unbedingt aussprechen. Es reicht, dass sie es das Kind indirekt spüren lassen. Es können natürlich auch fremde Personen den Selbstwert eines Menschen stark schädigen, etwa durch Mobbing in der Schule, in der Ausbildung oder im Beruf.

Sehr starke Veränderungen im Leben können den Selbstwert auch vermindern. Jemand findet sich plötzlich in einer Lebenssituation wieder, die fremd ist und in der er sich unsicher fühlt: beispielsweise, wenn sich ein langjähriger Lebenspartner trennt, jemand den Job verliert oder mit seinem Unternehmen scheitert. Aber auch eine Entwicklung in eine positive Richtung kann dies auslösen: wenn jemand ein Unternehmen gründet und plötzlich Chef ist; oder ein beruflicher  Aufstieg, der Aufgaben mit sich bringt, die völlig neu sind. Menschen mit einem stabilen Selbstwert können solche Situationen meist gut bewältigen. Ist es jedoch vorher schon angekratzt, kann es zu Problemen kommen.

Was tun, wenn Selbstwert fehlt?

Hier gilt grundsätzlich auch das, was ich schon beim Selbstvertrauen geschrieben habe. Wie wir gesehen haben, geht es um Bindung und um den Platz in der Welt. Wenn die Belastungen und Verletzungen der Vergangenheit auf emotionaler und mentaler Ebene gelöst sind, geht es darum, den eigenen Platz in der Welt zu finden. Und das auf physischer, sozialer und beruflicher Ebene. Der Betroffene sollte eine neue Vision für die Lebensbereiche entwerfen, die aktuell nicht stimmig sind. Die Frage ist: Wie möchte ich leben? Wie möchte ich sein? Mit dieser Ausrichtung ist es leicht, den Weg schrittweise zu gehen. Jeder erreichte Schritt wird das Selbstwertgefühl steigern. Es ist wichtig, sich Hilfe zu nehmen, falls es erforderlich ist.

Zudem ist es notwendig, eine gesunde Bindung zu etablieren. Für das Baby beziehungsweise das Kind ist die Bindung zu den Eltern existentiell. Es ist abhängig von Versorgung und Zuneigung. Erfährt es in diesem Bereich einen Mangel, so prägt dieser sich ein und bleibt bestehen, bis diese Erfahrung in einem bewussten Prozess bearbeitet wird. Die Schmerzen der Zurückweisung müssen geheilt werden. Der Erwachsene muss erkennen, dass er nicht mehr abhängig ist, dass er das Potential hat für sich selbst zu sorgen und für sich selbst Verantwortung zu übernehmen. Die Lösung ist eine Bindung zu sich selbst, zur Welt und zur Gegenwart.

Selbstbewusstsein

Das Selbstbewusstsein spiegelt wider, wie bewusst du dir deiner selbst bist. Das bedeutet: wie gut du mit dir selbst in Verbindung bist; mit deinem Körper, deinen Empfindungen, Gefühlen und Bedürfnissen. Du magst jetzt denken: „Natürlich nehme ich mich wahr.“ Doch es gibt in der Selbstwahrnehmung starke Abstufungen. Ich habe nicht selten Klienten in der Therapie, die fast vollständig in Ihrem Kopf leben. Sie sind oft in mentalen Konstruktionen gefangen und empfinden fast alle ihre Gefühle im Kopf. Vom Hals abwärts findet kaum ein Gespür für innere Vorgänge statt. Die meisten unserer Gefühle und Empfindungen finden jedoch im Körper statt.

Menschen mit einem gesunden Selbstbewusstsein führen ein bewusstes Leben. Sie tun in irgendeiner Weise etwas für ihren Körper. Sie treiben Sport oder machen Körperarbeit, wie Tai Chi oder Yoga. Sie vergiften sich nicht mit Zigaretten, Alkohol, Drogen oder ungesunder Nahrung, denn ihr Körperbewusstsein macht ihnen dies unmöglich. Sie nehmen sich selbst an und akzeptieren sich, wie sie sind. Sie führen ein selbstverantwortliches Leben, was heißt, dass sie nicht andere oder das System für ein mögliches Unglück beschuldigen. Sie wissen, was sie wollen, und können sich gut gegen andere abgrenzen. Sie sind selbstbestimmt und sorgen für ihre persönliche Integrität. Ihr Reden und Handeln ist in Übereinstimmung mit ihren Werten.

Wenn Selbstbewusstsein fehlt

Menschen mit geringem Selbstbewusstsein haben einen eingeschränkten Zugang zu ihren Empfindungen, Gefühlen und Bedürfnissen. Sie bewohnen ihren Körper nur eingeschränkt und sind unzureichend mit ihm verbunden. Beobachte einmal, wie Menschen gehen. Machen sie fließende Bewegungen, und der ganze Körper schwingt natürlich mit, oder wanken sie von einem Bein auf das andere? Haben sie eine lebendige Ausstrahlung, oder wirken sie erstarrt? Was meinst du, wie sie mit ihrem Körper umgehen? Wirkt er gepflegt oder eher vernachlässigt?

Selbstschädigendes Verhalten kann nur bei mangelndem Selbstbewusstsein auftreten. Rauchen lässt sich nur ertragen, wenn derjenige nicht fühlt, was er tut. Das gleiche gilt für übermäßiges Essen oder den Konsum von Drogen. Nur wer sich nicht fühlt, kann mehr essen als bis zur Sättigung oder weit über den Appetit hinaus. Die Wahrnehmung ist zu einem gewissen Grad vom Körper abgespalten, und es wird in vielerlei Hinsicht möglich, über die eigenen Grenzen zu gehen.

Das Empfinden der eigenen Bedürfnisse ist eingeschränkt. Daher weiß die oder der Betroffene gar nicht genau, was er will. Er wird leicht zum Spielball äußerer Einflüsse und wird manipulierbar. Diese Menschen fallen leichter auf einen Betrug hinein oder lassen sich zu etwas überreden, was sie eigentlich gar nicht wollten. Es ist natürlich auch schwer, einen passenden Lebenspartner zu finden, wer nicht empfunden werden kann, wer der oder die „Richtige“ ist. Wer sich selbst nicht fühlt, kann andere nicht fühlen, und ihm stehen bei der Entscheidung nur Äußerlichkeiten zur Verfügung. Und die können bekanntlich trügen.

Manche Menschen leben so sehr in ihrem Kopf, abgetrennt vom Körper und ihren Gefühlen, dass sie nur noch in mentalen Konstruktionen leben. Ihr Weltbild weicht so sehr von der Realität ab, dass sie ständig im Konflikt mit ihr leben. Sie können andere Menschen nicht verstehen und sind nicht in der Lage, sich in sie hineinzuversetzen. Diejenigen, die von ihren eigenen Vorstellungen abweichen, werden verurteilt und abgewertet. Dies ist beispielweise der Fall bei Menschen, die sehr stark von einer Ideologie oder Religion indoktriniert sind.

Diese mentale Konstruktion kann sich auch in einer starken beruflichen Identifikation äußern. Solche Menschen leben hauptsächlich ihre professionelle Funktion. Da sie sich als lebendiges Wesen kaum mehr wahrnehmen, haben sie sich in diese Identität geflüchtet. Sie sind der Anwalt, der Arzt, der Intellektuelle oder Nerd ­ und sonst nichts. Auch im Privatleben sprechen und handeln sie oft wie in ihrem Beruf. Sie erfahren aufgrund ihrer Rolle einige Bewunderung, aber zufrieden sind sie häufig nicht. Oft empfinden sie eine innere Leere und Unsicherheit, die zu einer Krise führen kann. Einigen meiner Klienten ist es so ergangen.

Diese mangelnde Verbindung zu sich selbst, zu anderen und zur Welt ist in der Regel die Grundlage für viele Ängste und Zwänge, denn es stellt sich das Gefühl eines Kontrollverlustes ein. Wer nicht oder kaum fühlt, also keine innere Verbindung hat, kann den Eindruck bekommen, dass er keine Kontrolle hat. Es gibt Dinge, die sich seinem Einfluss entziehen und die ihn überraschen oder überwältigen können. So entsteht Angst.

Ein Zwang dient dazu, die vermeintlich verlorene Kontrolle wiederzuerlangen. Eine Handlung wird so oft wiederholt, bis sie gefühlt wird. Es wird an der Tür gerüttelt, bis sich die Gewissheit einstellt, dass sie zu ist. Etwas wird so lange geputzt, bis sich das Gefühl einstellt, es ist sauber. Zwangsgedanken haben oft einen aggressiven Inhalt oder drehen sich darum, dass etwas Schlimmes verhindert werden soll: „Wenn ich dies nicht tue, dass passiert jenes.“ Daraus resultieren wiederum Zwangshandlungen, die die Kontrolle wieder herstellen sollen.

Wer sich nicht fühlt, hat in der Regel Probleme sich zu entscheiden. Wir können eine Entscheidung nur dann als gefällt wahrnehmen, wenn wir sie fühlen und zu ihr stehen können. Sie muss sich richtig anfühlen. Das ist meist wichtiger als das vernünftige Abwägen der Fakten. Es gibt also viele gute Gründe, das eigene Selbstbewusstsein zu stärken.

Was ist geschehen, wenn Selbstbewusstsein fehlt?

Die Wurzeln des mangelnden Selbstbewusstseins gehen fast immer bis in die Kindheit zurück. Das Kind wuchs in einer Umgebung auf, in dem seine Wahrnehmung, Gefühle und Bedürfnisse in Frage gestellt wurden. Dadurch erlebte es einen inneren Konflikt. Kinder sehen die Erwachsenen als absolute Autorität an, weil sie ja in jeder Beziehung von ihnen abhängig sind. Zuneigung von den Eltern zu bekommen ist für sie existenziell wichtig. Kommen nun von den Erwachsenen Aufforderungen, Erwartungen, Feststellungen oder Bemerkungen, die dem eigenen Erleben des Kindes widersprechen, erlebt es einen Konflikt.

Beispiel: Das Kind ist gestürzt und hat sich das Knie aufgeschlagen, was natürlich weh tut. Der Vater sagt: „Och, das ist nicht schlimm.“ Er sagt das vielleicht mit der guten Absicht, es zu beruhigen. Nun hat das Kind einen Konflikt, denn es erlebt etwas völlig anderes, nämlich einen großen Schmerz, der ihm vielleicht auch Angst macht. Da es aber mehr dem Vater glaubt als sich selbst, unterdrückt es den Schmerz und trennt sich von ihm ab, weil  es annimmt, dass seine Wahrnehmung falsch ist.

Wenn die Erwachsenen dem Kind immer wieder sagen, was es tun, fühlen, denken oder empfinden soll, oder sie es nicht annehmen, wie es ist, versucht das Kind, eine Lösung für seine erlebten Konflikte zu finden. Es passt sich an. Das haben wir alle erlebt. Wir alle haben Einflussnahme auf unser inneres Erleben erfahren und wurden dazu gebracht, Dinge zu tun, die wir nicht tun wollten. Uns wurde beigebracht, was gesellschaftlich erwartet wird oder welches Verhalten richtig ist. Mittlerweile sind wir daran gewöhnt, denn wir haben uns angepasst und im Rückblick erscheint das nicht so dramatisch. Doch für das Kind sind dies massive Eingriffe. Es erlebt in diesem Moment große Enttäuschung, Zurückweisung, Verletzung oder Schmerz.

Um diese Anpassungsleistung zu erbringen, war es notwendig, die eigenen Gefühle und Bedürfnisse hintenanzustellen oder gar ganz zu verleugnen. Der Grad der Anpassung ist natürlich individuell unterschiedlich. Er kann jedoch bis zur vollständigen Dissoziation gehen: Das heißt, der Mensch hat kaum mehr Verbindung mit sich selbst. Die Selbstwahrnehmung ist massiv eingeschränkt. Er ist tief verletzt. Um diesen Schmerz nicht zu fühlen, hat er sich völlig von sich selbst abgespalten. Er verharrt sein Leben lang in einem Alarmzustand, aus dem er nicht zurückfindet. Emotionaler oder körperlicher Missbrauch etwa kann dies auslösen. Dysfunktionale Eltern geben ihre ungelösten Verletzungen an ihre Kinder weiter.

Was tun, wenn Selbstbewusstsein fehlt?

Fast alle Probleme, mit denen meine Klienten in die Sitzungen kommen, haben ihre Wurzeln in der Vergangenheit und haben mit der Anpassung an die Umgebung ihrer Kindheit zu tun. Natürlich sind es nicht immer nur die Eltern, die Fehler gemacht haben. Auch beispielsweise Verwandte, Spielkameraden, Mitschüler oder Lehrer können große Verletzungen durch ihr Verhalten auslösen. Meistens geschieht dies ja nicht böswillig, manchmal unüberlegt, oft sogar in bester Absicht. Wir leben nicht in einer idealen Welt mit idealen Menschen. Bis zu einem gewissen Maß hinterlassen solche Erfahrungen keine bleibenden Schäden.

Wird dieses individuell unterschiedliche Maß jedoch überschritten, wird dies meist spätestens im Erwachsenenalter spürbar, indem sich unerwünschte und einschränkende innere Zustände einstellen. Dies können in verschiedenen Graden auftretende Ängste, Depressionen, Zwänge oder Süchte sein. Oder einfach ein diffuses Unwohlsein, eine Krise oder eine innere Leere. Solltest du so etwas bei dir bemerken, ist es nicht sinnvoll, die Schuld bei anderen zu suchen und sich darauf auszuruhen, eine schwere Kindheit gehabt zu haben. Jetzt ist es wichtig, Verantwortung für diese inneren Zustände zu übernehmen und sich Hilfe zu suchen.

In der Therapie werden die ersten Schritte sein, die alten Verletzungen zu heilen. Es sollte auf eine Weise geschehen, dass die Ereignisse erinnert werden können, ohne dass dies schmerzt oder unangenehme Gefühle erzeugt. Diese Gefühle gehören in die Vergangenheit und brauchen in der Gegenwart nicht immer wieder aktiviert zu werden. So wird es immer leichter, mit seiner Selbstwahrnehmung in den Körper zurück zu kommen und seine tatsächlichen, aktuellen Gefühle und Bedürfnisse zu fühlen. Das Körperbewusstsein nimmt zu, bis es sich gut anfühlt, mit sich selbst in Verbindung zu sein und die eigene Lebendigkeit zu fühlen. Sport und Körperübungen können diesen Prozess unterstützen.

Stimmigkeit erleben

Du kannst selbst definieren, wer du sein willst, was du erleben und fühlen möchtest. Die Zeit, in der du von anderen abhängig bis, ist vorbei. Schüttelst du die Stimmen und Erfahrungen der Vergangenheit ab und kommst in der Gegenwart an, erfährst du Stimmigkeit mit dir selbst und der Welt. Wenn Selbstvertrauen, Selbstwert und Selbstbewusstsein im Innern verwirklicht sind, können sie auch im Außen erfahren werden. Das Vertrauen in andere Menschen und die Welt kehrt zurück. Du erfährst den Wert des Lebens und kannst dich von ihm berühren lassen. Die Zweifel nehmen ab und die Selbstbestimmung zu. Mit dem Selbstbewusstsein nimmt dein Bewusstsein für alles um dich herum zu, und du kannst wahrnehmen, was tatsächlich ist. Damit öffnet sich ein Raum, der sich mit, wie ich es nenne, grundloser Daseinsfreude füllen kann.

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Freude ist dem Dasein immanent. Dabei ist diese Freude nicht persönlich. Sie offenbart sich, wenn das Ich in den Hintergrund tritt und die Gedanken stiller werden. Von allen Wesen auf der Erde sind wir Menschen die einzigen, die sich (scheinbar) vom Dasein trennen können.

Wie geschieht das? Wir entwickeln ein Ich. Das Ich ist für den Menschen wichtig, um Autonomie und Unterscheidungsfähigkeit auszubilden und uns selbst schützen zu können. Andererseits wirft uns die Identifikation mit dem Ich aus dem paradiesischen Zustand, in dem wir als Säugling leben. Um ein Ich zu haben und sich damit zu identifizieren, bedarf es eines gewissen Abstraktionsvermögens. Dieses entwickelt sich erst, wenn die neuronalen Verknüpfungen in unserem Gehirn komplex genug sind. Wir abstrahieren ein Ich und glauben dann immer mehr daran, es zu sein. Das ist ein unwillkürlicher Prozess, der willentlich nicht umzukehren ist.

An dieses Ich werden Körperempfindungen geknüpft. Plötzlich ist da nicht mehr nur eine unmittelbare Wahrnehmung, sondern das Ich nimmt wahr und koppelt oft Reaktionen an bestimmte Wahrnehmungen. Eine selbstverstärkende Spirale der Selbstidentifikation lässt das Ich so selbstverständlich werden, als wäre es tatsächlich da. Wir glauben ihm uneingeschränkt und akzeptieren als wahr, was es denkt. Das ist die Grundlage für fast alle Probleme, die wir im Leben haben.

Versuchen Sie doch einmal folgendes: Setzen Sie sich irgendwo hin, wo es schön ist. In einen Park, an ein Fenster mit schöner Aussicht oder an einen Strand. Geben Sie ausschließlich Ihrer Wahrnehmung Ihre Aufmerksamkeit. Sie werden feststellen, dass Ihre Gedanken stiller werden. Bewerten Sie nicht, weder positiv, noch negativ. Nehmen Sie einfach nur wahr.

Wenn Sie dies häufiger tun, werden Sie irgendwann merken, dass nicht Sie selbst aktiv wahrnehmen, sondern dass da nur Wahrnehmung ist. Da ist Sehen, da ist Hören, da ist Riechen, da ist eine Empfindung von Sitzen auf etwas. Aber das Ich ist nicht mehr derjenige, der es tut. Da ist niemand, der sieht, hört, riecht oder empfindet. Und dann ist da eine Freude am Dasein. Grundlos, unpersönlich.

Das Ich wird dadurch nicht verschwinden. Doch wenn wir erkannt haben, dass es seiner Natur nach imaginär ist, kann sich die Identifikation mit ihm abschwächen. Auf diese Weise können sich viele Probleme und Schwierigkeiten einfach auflösen. Dieser Prozess kann natürlich auch therapeutisch unterstützt werden.

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Mein Vortrag auf dem barcamp.ruhr X kurz zusammengefasst

Was ist eigentlich das Ich? Was hat das Bewusstsein mit Software zu tun? Wie kann ich meine Realität selbst gestalten, indem ich meine Bewusstseinsinhalte selbst wähle? – Darum ging es in meiner Session auf dem barcamp.ruhr X bot ich die Session „Update fürs Bewusstsein“ an. Die rege Teilnahme und die interessanten Nachfragen nehme ich zum Anlass, die wichtigsten Aussagen kurz zusammenzufassen – zum Nachlesen für die Teilnehmerinnen und  Teilnehmer sowie für alle anderen, die nicht dabei sein konnten.

Dein Smartphone bekommt regelmäßig Updates – und dein Bewusstsein?

Kürzlich fiel mir eine Analogie auf: Wir sind es gewohnt, dass die Apps und Programme unserer Devices regelmäßig Updates bekommen, um ihre Sicherheit und Funktionalität zu verbessern.

Das Gleiche gilt für Menschen: Auch ihr Bewusstsein könnte hin und wieder ein Update gebrauchen, das mag etwas technisch klingen, ist aber durchaus zutreffend.

https://twitter.com/Johannes/status/845645509293477889

Vom Paradies zur Trennung: Was ist eigentlich das Ich?

Um das zu erläutern muss etwas weiter ausholen. Was ist eigentlich dieses Ich? Haben wir es schon immer? Nein. Ein Baby lebt in einem paradiesischen Zustand. Alles ist gut. Körperliche Bedürfnisse werden normalerweise gestillt, sobald es schreit. Es erlebt Einheit. Es hat noch kein Ich, das sich mit dem Erlebten identifizieren könnte. Da ist einfach, was ist, ohne Bewertung oder Identifikation.

Erst, wenn das Nervensystem komplex genug verschaltet ist geschieht die Selbsterkenntnis, der Gedanke „ich bin“. Dies ereignet sich unwillkürlich und es kann nicht willentlich rückgängig gemacht werden. Anfangs wechselt sich das Empfinden von Einheit mit der Identifikation ab. Aber bald verfestigt sich das Ich-Erleben uns wir bezeichnen alles, was innerhalb Haut ist, als Ich oder meins.
„Ich habe dies getan.“ „Ich gehe.“ „Ich habe Hände.“ „Ich schäme mich.“

Die Identifikation mit dem Ich erschafft Trennung. Das Du entsteht. Wir erleben Trennungsschmerz, ein subtiles Gefühl, etwas verloren zu haben. Wir sind aus der Einheit gefallen. Nun gibt es ein Streben nach Sinn und nach einer Lebensaufgabe. „Schau, dass du was aus deinem Leben machst!“ „Sorge dafür, dass du glücklich wirst.“

Das Ich ist eine Funktion

Tatsächlich ist das Ich eine Funktion und kein Wesen. Seine Aufgabe ist unser Selbsterhalt, das Stillen von Bedürfnissen und Automatisierung von Abläufen, damit wir nicht immer alles neu lernen müssen. Das Ich besteht aus Überzeugungen, Haltungen, Meinungen, Bewertungen, Erfahrungen, Prägungen und so weiter. Diese habe wir freiwillig oder unter Zwang erworben: „Was ich anpacke gelingt.“ „Ich bin gut in…“ „Bei mir geht alles schief.“ „Ich war meiner Mutter egal.“ „Was ich will interessiert niemanden.“ Eltern, Verwandte, Lehrer, Nachbarn, Freunde werden Vorbilder, ihre Verhaltens- und Denkweisen werden abgeguckt.

So entstehen hilfreiche und behindernde Bewusstseinsmuster. Sie bestimmen, was wir wahrnehmen, wie wir wahrnehmen, wie wir uns selbst und die Welt wahrnehmen. Sie legen fest, wie wir uns verhalten oder reagieren. Sie bestimmen alles in unserem Leben. Sie entscheiden über Erfolg und Niederlage, Freude und Niedergeschlagenheit, Aktivität und Passivität und über wache oder gedämpfte Wahrnehmung. Was wir erleben, wie wir es bewerten, wie wir mit Erlebnissen umgehen.

BIOS + Betriebssystem + Apps = Mensch

In der Analogie zum Computer könnten wir es wie folgt sehen: Unser BIOS entspricht unseren Grundfunktionen, die wir zum Überleben brauchen, wie Nahrungsaufnahme, Atmung, Blutkreislauf, Stoffwechsel, Ausscheidung und dergleichen. Das müssen wir nicht lernen, sie sind uns genetisch mitgegeben. Unser Betriebssystem ist das Ich. Es lernt Informationen aufzunehmen, zu verarbeiten und einzuordnen. Es verwaltet auch unsere Apps beziehungsweise unsere Anwendungsprogramme.

Dies sind die verschiedenen Identitäten, die wir ausbilden und die für bestimmte Lebensbereiche zuständig sind. Wie wir als Sohn oder Tochter sind, als Vater oder Mutter, als Arbeitnehmer oder Unternehmer, als Autofahrer oder Fußgänger, als Lebenspartner oder Liebhaber, als Vereinsmitglied oder Freund. Wir haben unzählige sehr fein ausgebildete Identitäten, die genannten sind sehr allgemein.

Deine Muster sind selbst gewählt – und du kannst sie ändern

Alle diese Bewusstseinsmuster sind selbst gewählt, wenn auch nicht immer freiwillig, aber dies ist der Grund, warum wir sie alle selbst ändern können. Manche kennen wir, manche sind nicht bewusst und müssen erst entdeckt werden. Kein Problem: Wir brauchen uns nur selbst im Leben zu beobachten und wir erkennen, wann unbewusste Muster aktiviert werden. Dies ist meistens der Fall, wenn wir und in irgendeiner Weise unwohl fühlen.

Heute gibt es viele sehr wirkungsvolle Methoden, die Muster aufzulösen, unter denen wir leiden. Sie sind allerdings nur wirkungsvoll, wenn die mentale, emotionale und neuronale Ebene gleichzeitig angesprochen werden. Das ist auch der Grund dafür, warum Vorsätze nicht funktionieren. Sie werden meist nur von der mentalen Ebene her getroffen. Muster, die diesen Vorsätzen nicht entsprechen, werden dabei nicht berücksichtigt und sabotieren, ohne, dass wir es wollen, unsere Vorhaben. Werden diese störenden Muster dauerhaft gelöscht, können wir die eigenen Ziele leicht erreichen. Probleme können so gelöst und Krisen bewältigt werden.


Beispiel: Wie ein Muster entsteht und aufgelöst werden kann

Ein Beispiel: Marc hatte einen Onkel, der ihm sehr autoritär erschien. Er fand bald heraus, dass es besser war, sich still zu verhalten und sich zurückzunehmen, wenn er mit diesem Onkel zu tun hatte. Dieses Verhaltensmuster prägte sich ein: „Habe ich mit autoritären Menschen zu tun bin ich still und halte mich zurück.“ Mit dem Onkel hat es so gut funktioniert doch als Erwachsener hat er dieses Muster immer noch. Das Problem ist nun, dass er autoritär wirkenden Menschen, wie seinem Chef, nicht auf Augenhöhe begegnen kann und seinen Standpunkt ihnen gegenüber nicht vertreten kann. Er kann seine Ideen und seinen Wert für das Unternehmen nicht angemessen kommunizieren. Wenn in einer Sitzung die Auslöser (autoritär wirkender Mensch und mögliche andere) entkoppelt werden, wird diese Verhaltensmuster nicht mehr aktiviert. An ihrer Stelle kann eine neue Verhaltensweise etabliert werden, die dazu führt, dass er sich in solchen Situationen gut und sicher fühlt.

In einer Hypnosetherapiesitzung geschieht dies in einer tiefen körperlichen Entspannung, während der Geist sehr wach und präsent ist. Dieser Zustand aktiviert die Neuroplastizität, die es ermöglicht, neurologische Vernetzungen zu lösen und neu anzuordnen. So lassen sich in der Regel Probleme, Schwierigkeiten und Krisen, in allen Lebensbereichen schnell und wirkungsvoll beheben.


Haben Sie noch Fragen? Dann nutzen Sie bitte die Kommentare. Ich gehe gerne darauf ein.

(Das Beitragsbild ist von Dr. Barbara Volkwein, vielen Dank dafür.)

Praxis für Psychotherapie und Hypnosetherapie | ulrich-heister.de

„Was findest du vor, wenn du in dich gehst?“ – „Mich selbst, natürlich!“, werden wohl die meisten Menschen antworten. Wir sind gewohnt, alles was innerhalb unserer Haut liegt, als „Ich“ oder „meins“ zu bezeichnen. Doch ist das tatsächlich so? Was ist das Ich oder das Selbst? Wo ist es und woraus besteht es?

Für mich ist das Ich eine Abstraktion: die Summe der Gedanken, die das Nervensystem hervorbringt. Die Reize, die unser Nervensystem aufnimmt, haben wir schon als Kind gelernt, als unsere zu empfinden. ICH sehe, ICH höre, ICH taste, ICH schmecke, ICH rieche, ICH denke, ICH empfinde.

Descartes sagte: „Ich denke, also bin ich.“ Folglich: Wenn ich nicht denke, dann bin ich nicht. Nicht-Denken ist durchaus möglich. Vielleicht haben Sie das sogar selbst in einer Meditation schon erlebt. Es gibt aber auch einfachere Wege, Gedankenlosigkeit zu erfahren. Wenn Sie nicht denken: „Ich sehe einen Baum.“, sondern einfach nur schauen, dann ist da niemand mehr, der einen Baum sieht. Das Sehen geschieht einfach. Objekt und Subjekt, Baum und Sehender werden eins, innerhalb einer Ganzheit.

Für viele ist es schwer vorstellbar oder gar bedrohlich zu erkennen, dass das Ich seiner Natur nach imaginär ist. Doch sich darauf einzulassen, eröffnet viele Möglichkeiten. Denn wie wir uns selbst und unsere Umwelt erleben, hängt von unseren Überzeugungen, Meinungen und Bewertungen ab. Ändern wir diese, ändert sich auch die Realität, die wir erleben. Das Ich ist also wandelbar, wenn es sich nicht mehr als festgelegt erfährt. Denn dann ist das Ich wandelbar. Es kann seine eingefahrenen Bewusstseinsmuster verlassen, sich ändern und sich neu erfahren.

Bis hierher habe ich eine kurze, komprimierte Darstellung des ersten und zweiten Paradigmas geliefert. Sie enthält alles, was nötig ist, um das menschliche Sein grundlegend zu verstehen und um sein Dasein und sein Erleben selbst zu bestimmen. Wer damit zufrieden ist, sollte nicht weiter lesen und fleißig die beschriebenen Methoden anwenden, um ein nettes Leben zu haben.

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Zugegeben, im letzten Artikel kam das Ego nicht so gut weg. Es stimmt, wenn wir Probleme haben, hat es mit ihm zu tun. Aber wer ein Ego hat, muss nicht automatisch Probleme haben. Jeder hat eines und er kann es niemals loswerden. Es ist nicht der Buhmann. Die Komplikationen haben einen anderen Grund. Betrachten wir zunächst einmal, was das Ego ist und warum es so schlecht da steht.

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Seit Menschen ihren Verstand benutzen, haben sie Probleme. Noch schlimmer ist es geworden, seit sie denken, sie seien ihr Verstand. Aber der Reihe nach.

Fast alle Menschen gehören diesem Paradigma an. Vom Penner bis zum Topmanager, vom Ärmsten bis zum Reichsten, vom geistigen Tiefflieger bis zum Akademiker, vom Rationalisten bis zum Kleriker, vom Ottonormalverbraucher bis zum Spitzenpolitiker und vom Looser bis zum Macher.

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