Das erste Paradigma

Seit Menschen ihren Verstand benutzen, haben sie Probleme. Noch schlimmer ist es geworden, seit sie denken, sie seien ihr Verstand. Aber der Reihe nach.

Fast alle Menschen gehören diesem Paradigma an. Vom Penner bis zum Topmanager, vom Ärmsten bis zum Reichsten, vom geistigen Tiefflieger bis zum Akademiker, vom Rationalisten bis zum Kleriker, vom Ottonormalverbraucher bis zum Spitzenpolitiker und vom Looser bis zum Macher.

Die Basis für dieses Paradigma bildet die Identifikation mit der Person. Synonyme für das Wort Person sind in diesem Zusammenhang Ich, Ego, Selbst oder Individuum. Ich verwende im Weiteren die Worte Ego oder Person. Mit dem Wort Mensch meine ich die Gesamterscheinung eines menschlichen Wesens.

Die verschiedensten Menschengruppen sind dem ersten Paradigma zuzuordnen, da sich der aller größte Teil der Menschen mit ihrer Person identifizieren. Identifizieren heißt, zu denken, etwas zu sein. Der Grundgedanke oder die Grundüberzeugung ist, ich bin dieser Körper, ich bin dieser Verstand, ich bin dieses Gefühl.

Das ist eine folgenreiche Entscheidung, wie wir auch später noch im dritten Paradigma sehen werden. Wenn ich davon überzeugt bin, ich sei dies, dann lege ich gleichzeitig fest, was ich nicht bin. Eben nicht dies. Ich bin dieser Mensch und nicht jener. Ich bin ein guter Mensch und kein Betrüger. Das eigentliche Wesen wird durch eine Abstraktion ersetzt.

Durch diese Überzeugungen entsteht Trennung. Die Person trennt sich von dem, was sie nicht ist. Auch von der Welt, den Erscheinungen um sich herum, denn sie erkennt sich ja schließlich nicht als die Welt. Sie ist die Person. Damit fällt sie aus der Einheit, die sie als Baby oder kleines Kind noch war. Die Person erkennt sich als sich selber. Ich bin diese Person mit diesem Körper, diesen Gedanken und diesen Gefühlen. Da draußen, um mich herum ist Nicht-Ich, die Welt.

Um das Fortbestehen der Person zu sichern, muss sie in der großen Welt da draußen zurechtkommen. Sie erlebt viele verschiedene Umstände, Situationen und Menschen. Einige werden als günstig oder wohlgesonnen bewertet, andere nicht. Da es von Vorteil für die Person und ihren Erhalt ist, von möglichst vielen wohlgesonnenen Personen umgeben zu sein, schließt sie sich Gruppen an oder initiiert selber welche. Untersuchungen haben gezeigt, dass die größte Angst des Menschen nicht die vor dem Tod ist, sondern die, nicht dazu zu gehören.

Die Gruppe bringt Sicherheit. Eine gute Position in der Gruppe noch mehr. Nun wird Macht interessant. Und um sich selber und der Gruppe Bedeutung und damit Existenzberechtigung zu geben, wird der Unterschied zu anderen Menschen oder Gruppen deutlich gemacht und verstärkt. Persönliche, soziale, religiöse und internationale Verwicklungen und Konflikte entfalten sich. Die Auswirkungen in der Gesellschaft, auf die Umwelt und auf unsere Ressourcen sind offensichtlich.

Alle Verwicklungen, Probleme, Konflikte und Kriege entstehen letztendlich daraus, dass sich Personen und Gruppen Bedeutung geben und dem Andersartigen die Bedeutung entziehen. Das alles aufgrund einer Vorstellung, die nicht mehr als ein Gedanke ist: Ich bin eine Person, getrennt von dem, was mich umgibt. Wenn Sie sich umschauen, sehen Sie, dass es zuerst um das Überleben geht. Ist das halbwegs gesichert, geht es letztendlich immer um die eigene Bedeutung. Menschen neigen dazu, sich wichtig zu nehmen. Die Auflösung dieses Dilemmas beginnt mit dem zweiten und endet im dritten Paradigma.

Durch die Identifikation mit der Person und der Trennung von der Welt, geht dem Menschen in der Regel das Vertrauen verloren, mit allem versorgt zu sein, was er braucht. Die Spirale von Streben, Sorgen und Angst beginnt sich zu drehen. Nun gilt es etwas zu werden, zu erreichen und Sicherheiten zu schaffen. Wenn es sein muss, bis zur Erschöpfung oder gar zum Zerbrechen. Besitz und Kontrolle werden immer wichtiger. Der Mensch unterwirft sich dem Diktat des Egos und verliert den fließenden Kontakt zum Sein.

Im Hintergrund ist sich jede Person bewusst, dass etwas nicht stimmt. Das etwas fehlt. Es ist etwas verloren gegangen. Friede und Selbstbestimmung, die lange nicht mehr empfunden wurden, werden zu einem Ideal erhoben. Es wird für Frieden gekämpft und für Freiheit unterdrückt. Krankheiten werden bekämpft und es wird zum Seelenheil gedrängt. Probleme sollen auf der gleichen Ebene gelöst werden, auf der sie entstanden sind. Das funktioniert nicht.

Die Person, der Trennung immanent ist, sucht Einheit. Sie meint, sie bräuchte mehr, müsste mehr erreichen und mehr werden. Sie will sich verwirklichen, wohl fühlen und Erfüllung finden. Mehr Besitz, mehr Geltung, mehr Kontrolle, mehr Wellness, mehr Unterhaltung. Mehr ist allerdings nicht die Lösung, sondern weniger. Die Person weiß nicht, dass sie schon dort ist, wo sie hin will. Sie selbst ist ihr Problem.

Das erste Paradigma ist das der Trennung, der Selbstbehauptung und des Überlebens. Es gibt Gute und Böse, Sieger und Verlierer. Subjekt und Objekt. Das Übliche eben. Entscheidend und bestimmend ist das Ego, d.h. die Person. Daher befassen wir uns damit im nächsten Artikel ausführlich.

Ulrich Heister
3 Kommentare
  1. Dieter Knaack sagte:

    Ich bin begeistert !!!!

    (Meine Lehrer: Paramahansa Yogananda, Ramana Maharshi, Nisargadatta Maharaj, Sri Kaleshwar, Shirdi Sai Baba u.a., aber besonders Dr. med. Dr, phil. David R. Hawkins)

  2. Ulrike Zecher sagte:

    Hallo Ulrich,

    ich recherchiere gerade im Netz zum Thema “Was ist Psychotherapie”, weil ich zur Zeit einen Therapeuten schreib-coache. Was ich dazu finde, ist relativ austauschbar. Daher parke ich mein “Gehirn” immer wieder gerne auf deiner Webseite und lasse mich vom ersten Paradigma begeistern.
    Da steckt soviel Wahrheit drin, die man sich immer wieder im Kopf, im Körper, im Gefühl wiederholen kann: “Ich bin nicht mein Verstand. Ich bin nicht mein Gefühl. Ich bin nicht mein Körper.”
    Ups, da bekommt das Ego ja mächtig Angst …

    Herzlichen Dank für deine “Mentale Revolution”, jetzt geht es beschwingt an den Schreibtisch zurück.

    Liebe Grüße,

    Ulrike

    • Ulrich Heister sagte:

      Liebe Ulrike,

      es freut mich, was Du schreibst. Genau so ist dieses Blog beabsichtigt.

      Vielen Dank!
      Ulrich

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