Das dritte Paradigma

Bis hierher habe ich eine kurze, komprimierte Darstellung des ersten und zweiten Paradigmas geliefert. Sie enthält alles, was nötig ist, um das menschliche Sein grundlegend zu verstehen und um sein Dasein und sein Erleben selbst zu bestimmen. Wer damit zufrieden ist, sollte nicht weiter lesen und fleißig die beschriebenen Methoden anwenden, um ein nettes Leben zu haben.

Es ging um die Person, um den Menschen, der sich als Individuum erfährt und auf seine Weise sein Leben lebt. Im dritten Paradigma geht es nicht um die Person. Sie wird hier nichts für sich finden. Was nun kommt nutzt dem Verstand nichts. Er geht leer aus. Er wird versuchen zu analysieren, Konzepte zu bilden, zu verstehen worum es geht, daran herum nagen wie an einem Knochen aus Beton und letztendlich scheitern.

Das dritte Paradigma ist paradox, verwirrend und nicht zu begreifen. Es ist ein totaler Bruch mit dem, was wir zu wissen glauben und was der Verstand für richtig hält. Es ist verrückt im Sinne des Wortes. Wer mit normalen Menschen über das dritte Paradigma spricht, läuft Gefahr als gestört angesehen zu werden. Ich gehe davon aus, dass viele von denen, die es getan haben in der Klapse gelandet sind. Sie haben es gesehen und darüber gesprochen. Dadurch verunsichert, dass sie selber nicht wussten, was los ist, hielten sie sich selber für anormal und glaubten den „Experten“ die etwas Pathologisches sahen.

Manches von dem hier Geschriebenen scheint zynisch. Doch wer sich die Mühe macht herauszufinden, was wirklich wahr ist, wird schließlich zum gleichen Schluss kommen. Es ist nicht die Antwort auf alle Fragen, aber das Ende der Fragen. Es ist schlicht das, was ist und schon immer war. Offensichtlich und doch verborgen. Nach einer Umschreibung dessen, was nicht beschrieben werden kann, folgen einige Artikel mit Experimenten, die eine Annäherung an das dritte Paradigma ermöglichen.

In früheren Artikeln habe ich beschrieben, dass die Person eine Vorstellung ist. Die Identifikation mit dieser Vorstellung, die weltweit verbreitet und als normal angesehen wird, gibt der Person Bedeutung und Wichtigkeit. Fast alle menschlichen Aktivitäten zielen darauf ab, der Person mehr Bedeutung und Wichtigkeit zu geben. Das ist das Spiel des Lebens. Ein universeller Witz.

Es gibt keine Person. Was gerade gelesen wird, wurde nicht von einer Person geschrieben und es wird nicht von einer Person gelesen. Da ist niemand. Und um es gleich zu sagen: Es ist nie jemand geboren worden und es wird nie jemand sterben. Das, was ist, ist lediglich das, was ist. Im leeren Raum tauchen Erscheinungen auf und verschwinden wieder. Das ist alles. Nichts hat Bedeutung. Da ist Nichts, gefüllt mit Allem, das aus Leere besteht.

Klingt reichlich bescheuert, nicht? Wie gesagt: die Person findet hier nichts mehr. Hier kommt nichts mehr, was die Person stärkt oder ihr mehr Bedeutung geben kann. Wer hier weiter liest ist entweder jemand, der spürt, dass ihm etwas fehlt und danach auf der Suche ist oder er spürt unterschwellig, dass dies die Wahrheit ist. Experten, starke Egos und diejenigen, die sich für wichtig halten, werden sich von diesen Aussagen eher bedroht fühlen, Widerstand empfinden und sich darüber lustig machen.

Alle Menschen sind auf der Suche. Die einen wissen es, die anderen nicht. Doch jeder weiß, dass ihm etwas abhanden gekommen ist. Jeder hat einen subtilen Eindruck von einer Ganzheit, die er nicht mehr wahrnehmen kann. Ein Gefühl, dass etwas fehlt, ein Mangel. Jeder versucht diese innere Leere auf seine Weise zu füllen. Die einen streben nach Besitz, andere nach Macht, wieder andere suchen Ablenkung und Unterhaltung durch zum Beispiel Beziehungen, Sex, Ballerspiele, Partys oder Sportarten mit Nervenkitzel. Manche bilden Gruppen mit denen sie sich identifizieren und sich außergewöhnlich fühlen können. Andere versuchen es mit Drogen, werden religiös oder machen sich auf eine spirituelle Suche. Die Liste der Dinge, mit denen die nagende Leere gefüllt werden soll, ist ewig lang.

Und ist das Bedürfnis scheinbar erfüllt, hat man die tollste Frau oder den tollsten Mann, hat man sein Haus gebaut oder seine berufliche Position gesichert, hat den großen Preis gewonnen, den ultimativen Body gebuildet, die Schönheitsoperation hinter sich, ist die Party vorbei und ist der Rausch abgeklungen, stellt sich wieder die Leere ein und die Suchen geht weiter. Jemand sagte einmal: Du kannst nicht genug von dem bekommen, was du nicht brauchst, um glücklich zu sein.

Dabei war das, was gesucht wird, nie weg. Die Suche an sich hat uns von dem getrennt, was schon immer da war. Vollkommenheit und Vollständigkeit. Immer. Das was ist, ist, was wir suchen. Das ist alles. Die Idee, der Gedanke, ein Ich zu sein ist scheinbar so tief in uns eingebrannt, scheinbar so stark manifestiert, dass wir nichts anderes als das wahrnehmen können. Dabei war da nie eine Person, niemand, der etwas getan hat, niemand, der etwas erreicht hat. Kein Täter kein Opfer. Kein Sieger, kein Verlierer. Keine Ursache, keine Wirkung. Das was ist, ist einfach da. Spontan aus dem Nichts. Das war immer so und wird immer so sein. Ein Gesamtereignis, dass sich nicht in Einzelereignisse teilen lässt.

Doch die Person nimmt, in der Hypnose der Trennung, das, was spontan, ohne Ursache erscheint, im Nachhinein für sich in Besitz. Ich habe das getan. Ich habe das erreicht. Ich habe das geleistet. Ich bin das Opfer. Mir ist das geschehen. Ich bin daran schuld. Nein, so ist es nicht. Die Neurowissenschaftler haben dies bestätigt. Schon einige Zeit, im Sekundenbereich, bevor wir uns einer Entscheidung bewusst werden, fließen die entsprechenden Gehirnströme. Klar? Die Entscheidung ist schon im Gehirn fertig, bevor wir uns ihrer bewusst werden und wir sie als unsere bezeichnen können.

Person zu sein bedeutet getrennt und bedürftig zu sein. Mangel zu haben. Doch wie komme ich nun in das Paradies zurück? Wie kann ich die Person loswerden und wieder Ganzheit und Erfüllung erfahren? Was kann ich tun? NICHTS. Wie könnte eine Vorstellung oder eine Illusion etwas tun? Sie kann nicht, weil sie nicht ist.

Das ist ein Hammer für die Person. Sie können nichts tun, um zum wahren Sein zurückzukehren. Niemand kann die Illusion aufgeben, jemand zu sein, weil da niemand ist, der das könnte. Das was ist, ist einfach das, was ist. Eine einzige ungetrennte Erscheinung. Da ist die Vorstellung, die Idee einer Person und das ist absolut perfekt. Das ist das Spiel des Lebens. Das Ganze teilt sich selber in scheinbare Teile, um sich als scheinbar getrennte Splitter selbst zu erfahren und sich wiederzufinden. Das ist das Dasein.

Für die Person ist es absolut hoffnungslos. Sie kann gar nichts tun, um die Ganzheit wieder zu finden, denn ihre Natur ist es, getrennt zu sein. Es gibt keinen freien Willen. Nur absolute Desillusionierung. Sie können nicht in das Paradies zurück, da Sie bereits da sind. Sie sind genau da, wo Sie hin wollen. Warum scheint es nicht so zu sein? Weil Sie der Person und Ihren Gedanken glauben. Zu den Gedanken gehören Ihre Bewertungen, Abwertungen und Widerstand. Der Widerstand richtet sich dagegen, dass das, was ist, nicht so ist, wie es sein soll. Daraufhin stellen sich natürlich auch die entsprechenden Gefühle ein. Wut, Trauer, Hilflosigkeit, Trotz, Verzweiflung, Minderwertigkeit und so weiter. Es soll anders sein, also müssen wir kämpfen, streben, uns anstrengen, andere auf unsere Seite ziehen und so weiter. Das ist alles sehr ermüdend.

Wie kommen Sie da heraus? Hören Sie auf, sich mit der Person zu identifizieren, die Sie zu sein glauben. Glauben Sie nicht mehr daran, eine Person zu sein. Glauben Sie Ihren Gedanken nicht mehr. Glauben Sie Ihren Gefühlen nicht mehr. Erkennen Sie, dass Sie das nicht sind. Erkennen Sie die Erscheinungen als das, was sie sind. Bäume sind Bäume. Menschen sind Menschen. Gedanken sind Gedanken. Gefühle sind Gefühle. Empfindungen sind Empfindungen. Das alles hat nichts mit Ihnen zu tun. Es sind spontane Erscheinungen im Raum. Manche scheinen sehr nah, andere sind weiter entfernt. Sonst nichts. Das sind nicht Sie. Desidentifizieren Sie sich.

Eine Person kann sich Schritt für Schritt desidentifizieren. Sie kann eine andere Sicht auf die Dinge und sich selbst gewinnen. Sie kann Methoden anwenden, um zu erkennen, wer, oder besser gesagt, was sie wirklich ist: Nichts. Damit werden wir uns in den nächsten Artikeln befassen. Wir werden dort Experimente durchführen, die Ihnen zeigen werden, was Sie wirklich sind. Das bringt eine sehr große Erleichterung mit sich. Die Lebensqualität wird steigen und viele Probleme werden sich von selbst auflösen. Doch: Dies alles geschieht innerhalb des Spiels des Lebens. Es ist nicht Befreiung. Die Person besteht weiter, da die Person dies alles ja tut. Besser: scheinbar tut.

Die biblische Geschichte erzählt es schon seit Jahrtausenden: Die Erkenntnis (das Essen des Apfels, als die Frucht der Erkenntnis) eine Person zu sein, lässt uns aus dem Paradies fallen. Ich und Du. Trennung. Und der ganze Scheiß fängt an. Man könnte auch sagen, das göttliche Spiel, das hängt von der persönlichen Bewertung ab. Der Weg den die Bibel vorschlägt, um ins Paradies zurückzukehren, taugt allerding ebenso wenig, wie alle anderen Wege auch, denn es gibt keinen Weg.

Hier muss ganz klar gesagt werden: Um die letztendliche Befreiung zu erlangen kann die Person gar nichts tun. Denn etwas, dass nicht existiert kann nichts tun. Etwas, das schon da ist, kann nicht gefunden werden. Befreiung kann geschehen. Als spontane Erscheinung im Raum, wie alles andere auch. Befreiung braucht nicht zu geschehen, denn es war nie eine Person da. Niemand muss befreit werden. Alles ist vollkommen, so wie es ist. Alles ist so, wie es sein soll. Wie gesagt: Sie sind bereits im Paradies. Der Wahrnehmungsfilter der Person lässt diese Erkenntnis nur nicht zu.

Befreiung geschieht spontan. Sie unterliegt nicht der Kontrolle des Menschen, der Person. Es ist das Abfallen der Person, das Verschwinden der Identifikation mit sich selber. Was bleibt? Nichts. Ist das attraktiv? Wollen Sie das? Es spielt keine Rolle, denn wer könnte etwas wollen? Niemand. Kein freier Wille. Nur die scheinbare Person hat einen scheinbaren freien Willen.

Um einem Missverständnis vorzubeugen: Wenn Befreiung geschieht, bedeutet das nicht den physischen Tod. Nach der Befreiung sind die Funktionen der Person noch vorhanden. Vorlieben, Gefühle, Empfindungen, Tun und Nichttun sind noch da. Es ist nur niemand mehr da, der sich damit identifiziert. Alle Erscheinungen, selbst die, die vorher als die eigenen bezeichnet wurden, sind noch da. Es gibt nichts Eigenes mehr, da niemand da ist, der irgendetwas sein Eigen nennt. Was bleibt ist Ganzheit. Leerer, gewahrer Raum, der Nichts ist und Alles enthält. Die Weisen sagen: „Sterbe bevor du stirbst“.

Was hier Befreiung genannt wird, wird in anderen Kulturen auch als Erlösung, Erleuchtung, Nirwana, Großer Geist, Eins- oder Selbstwerdung bezeichnet. Dabei handelt es sich allerdings nicht um eine Gipfelerfahrung, in der sich die Himmel öffnen und man begleitet von Engelchören oder Bodhisattwas, getaucht in gleißendes Licht, das nicht blendet, Omnipräsenz, Allwissenheit und vollkommene Liebe erfährt. Es ist zunächst eher eine Desillusionierung und Ernüchterung. Wenn Befreiung geschieht, ist das niemandem anzumerken. Äußerlich ändert sich nichts. Es entwickeln sich keine paranormalen Fähigkeiten.

Erleuchtung wird wie Liebe häufig vollkommen falsch verstanden. Daher ist mir der Begriff Befreiung lieber, obwohl der letztendlich auch nicht zutrifft. Niemand kann erleuchtet oder befreit werden. Wenn jemand sagt, er sei erleuchtet, laufen Sie schnell! Befreiung ist etwas Unpersönliches. Es wird in der Befreiung erkannt, dass keine Person existiert. Das immer nur Ganzheit gewesen ist. Wer sollte da erleuchtet oder befreit sein? Oder wer nicht?

Im nächsten Artikel machen wir ein paar Experimente, die diese Ausführungen nachvollziehbarer machen.

Ulrich Heister