Verletzungen

Im Internet sind immer wieder Sprüche zu lesen, von denen ich denke, dass sie das Gegenteil dessen erzeugen, was sie eigentlich intendieren. Hier wieder einmal solch ein Exemplar: „What’s hurt me has only made me stronger. Thanks for the lesson!“ Zu Deutsch: „Was mich verletzt hat, hat mich nur stärker gemacht. Danke für die Lektion.” Fallen Sie auf solche Aussagen nicht herein und mach Sie sich bitte nicht zu Eigen. Ja, wir werden von Zeit zu Zeit verletzt, doch die Konsequenz, die der unbekannte Autor daraus abgeleitet hat, wird ihm mehr schaden als nutzen.

Zuerst kann zu diesem Spruch festgestellt werden, dass sich der Betroffene selbst zum Opfer gemacht hat. Ihm ist, aus seiner Sicht, eine Ungerechtigkeit erfahren. Er entscheidet sich mit Verletzung darauf zu reagieren. Sie wissen, als geneigter Leser, dass es auch andere Möglichkeiten gibt. In diesem Artikel können Sie das nachlesen. Verletzt fühlen wir uns, wenn wir keine bessere Strategie für eine solche Situation haben. Es wurde ein Muster in uns angesprochen, dass noch nicht bearbeitet und aufgelöst wurde. Ein konstruktiver Umgang wäre, sich diese Muster anzugucken und aufzulösen. Dann braucht man nicht mehr verletzt zu reagieren.

Das Erlebnis hat ihn „stärker gemacht“. Was das wohl heißt? Auf mich wirkt es, als wenn er sich in sich zurückgezogen und seine Identitäten eher verfestigt hat. Wenn er sich wieder einem ähnlichen Ereignis gegenüber sieht, wird er wahrscheinlich noch empfindlicher und  heftiger reagieren. Und er macht sich vor, dass er nun besser damit umgehen kann, da er ja stärker ist. „Das lasse ich nicht mehr mit mir machen!“ Ich glaube nicht dass er damit glücklicher wird, denn seine bisherigen Begrenzungen bleiben nicht nur bestehen, sondern ziehen sich noch enger zusammen.

Der ironische Dank am Ende ist nichts, als eine heuchlerische Demonstration von vermeintlicher Überlegenheit. Er zeigt eher Verbitterung, als dass irgendetwas gelernt worden wäre. Hätte er nämlich etwas gelernt, wäre es ihm nicht wichtig stärker, sondern offener zu werden. Sollte es Ihr Wunsch sein, wirklich souverän mit Angriffen umzugehen, ist Offenheit der einzige Weg. Voraussetzung dafür ist, dass keine persönlichen Muster mehr existieren, die mit der Attacke resonieren könnten. Sie geht dann durch Sie hindurch, wie ein Lichtstrahl durch Luft.

Ulrich Heister