Sich gut zu fühlen, heißt nichts zu fühlen

Menschen fühlen sich am liebsten gut. Was heißt eigentlich gut? Meistens werden sogenannte negative Gefühle (Wut, Ärger, Verzweiflung, Trauer, Niedergeschlagenheit) gemieden und positive Gefühle (Freude, Glück, Dankbarkeit, Verbindung, Zuversicht) angestrebt. Der Nachteil dieser Neigung ist, dass die Gefühle bedingt sind. Das heißt, dass die gewünschten Zustände Bedingungen unterliegen. Daher ist eine Person, die ja in einer polaren Welt lebt, immer diesem Streben unterworfen. Sie muss ständig Bemühungen unternehmen, unerwünschte Zustände abzustellen und gewünschte Zustände zu erreichen. Diese ständige Anstrengung ist wahnsinnig belastend und benötigt fast alle Ressourcen eines Menschen.

Geht es auch anders? Ja, natürlich. Dazu ist anzuerkennen, dass der größte Teil dieser Gut-Schlecht-Polarität im Leben von den eigenen Bewertungen abhängt. Diese entspringen unseren persönlichen Mustern. Und diese sind veränderbar oder gar entfernbar. Je weniger persönliche Muster ein Mensch mit sich herumträgt, umso weniger Bewertungen und Vorstellungen von Richtig und Falsch hat er. Das ist eine große Befreiung, denn das was ist, darf sein, wie es ist.

Ich erlebe in Sitzungen oft, dass die Klienten, die gerade ein Muster aufgelöst haben, nicht nur ein Gefühl der Erleichterung erleben, sondern sich häufig in dem neu gewonnenen Zustand unsicher fühlen. Es hat sich ein Komplex aufgelöst, der sie meist schon lange Zeit belastet hat. Nun ist da nichts mehr, eine gewisse Leere. Das ist neu und ungewohnt. Doch so fühlt sich wirkliches Gutfühlen an: nichts zu fühlen. In diesem Raum erst kann sich die grundlose Daseinsfreude entfalten. Das gleiche gilt übrigens auch für den Körper: Ein gesunder Körper ist einer, den man praktisch nicht wahrnimmt.

Ulrich Heister