Die tatsächliche Natur des Ich

Praxis für Psychotherapie und Hypnosetherapie | ulrich-heister.de

Ich behaupte: Wenn alle Menschen über die tatsächliche Natur unseres Ichs Bescheid wüssten, wären die meisten persönlichen und globalen Probleme gelöst.

Wir nehmen ständig Bezug auf uns selbst als „Ich“: „Ich habe das gemacht“ „Ich fühle mich nicht so gut.“ „Das ist meine Schuld.“ „Das ist mein Bein.“ „Ich lebe.“ „Ich freue mich.“ „Du hast mich verletzt.“ Und so weiter. Dieses „Ich“ ist so selbstverständlich für uns, dass wir es nicht hinterfragen. Es stellt für uns eine felsenfeste Konstante dar. Wir erleben (fast) unser gesamtes Leben aus der Sicht des Ichs: Hier bin ich und dort sind die Umwelt sowie die anderen. Dabei wird in der Regel mit dem Ich das gemeint, was sich innerhalb unserer Haut befindet und dort empfunden wird.

Das Ich wird als solide Wesenheit betrachtet, die mit dem, was um es herum geschieht und mit anderen Menschen in Wechselwirkung steht. Aber wo ist dieses Ich? Ist es unser Körper? Hat es eine spezielle organische Repräsentation in unserem Nervensystem? Ist es unsere Seele? Ist es ein spirituelles Wesen?

Nein, all dies ist es nicht. Es ist gar kein Wesen, sondern eine Funktion unseres Nervensystems, die unser Überleben auf vielfältige Weise sicherstellen soll. Synchronisierte Gehirnbereiche mit verschiedenen Aufgaben lassen das Ich entstehen. Wird diese Kohärenz durch widersprüchliche Sinneseindrücke, psychogene Substanzen oder Müdigkeit gestört, desintegriert das Ich. Wir sind verwirrt, halluzinieren, schlafen ein oder werden bewusstlos.

Das Ich ermöglicht uns auf der einen Seite ein Selbstbild, ein Weltmodell, eine Vorstellung von Vergangenheit und Zukunft, Beziehungen, Empathie, soziale Strukturen, Kultur und die Planung und Kontrolle unseres Verhaltens. Auf der anderen Seite programmiert es uns. Es begrenzt uns in unserem Verhalten, trennt uns und legt unsere Bewertungen fest. Sein Schutzmechanismus wird oft nicht nur als Zweck, sondern als einzig richtige Verhaltens- und Denkweise interpretiert. Hier liegt die Ursache aller persönlichen, menschlichen und damit auch aller globalen Probleme.

Die grundlegende Aufgabe des Ichs ist die Abgrenzung, um für die eigene Bedürfniserfüllung sorgen zu können und so die eigene Existenz zu sichern. Kommt es bei der Stillung der eigenen Bedürfnisse zur Kollision mit denen der anderen, entfalten sich Konflikte. Das geschieht im Kleinen, in der Paarbeziehung, in der Familie, aber auch im größeren Rahmen, zwischen Kultur- und Glaubensgruppen, bis hin zu den Nationen. Alle Identifikationsmuster tragen das Potenzial in sich, Konflikt mit dem Andersartigen entstehen zu lassen.

Folgendes sollte jedem klar sein: Das Ich ist eine Illusion, ein Gedanke, eine Funktion, eine Vorspiegelung des Nervensystems, und es ist kein Wesen! Wenn Sie durch den Schleier der Selbstbegrenzung hindurchschauen, öffnen Sie sich für die Möglichkeit einer größeren und freieren Realität! Es geht nicht darum, das Ich zu verteufeln, sondern es zu verstehen und seine wahre Natur zu erkennen.

Was ist dann wirklicher als das Ich? Die Einheit. Das Ich kann mit dem Begriff „Einheit“ nur wenig anfangen, denn seine Natur ist die Abgrenzung, bestenfalls hat es eine vage Vorstellung davon. Doch es lässt sich – im positiven Sinne – überlisten. So können wir einen Eindruck dieser grundlegenden Ganzheit gewinnen. Das ist keine spirituelle Spinnerei, sondern unmittelbar und unzweifelhaft erfahrbar.

Das Ich ist immer in diese Ganzheit eingebettet. Wer Kontakt mit ihr hat, wird einen größeren Frieden in sich selbst finden und Abgrenzung, Konflikte und Hass zunehmend als lächerlich erkennen. Eine lebenslange Ich-Identifikation lässt sich nicht sofort aufweichen. Die Verschaltungen in unserem Gehirn sind fest verankert. Interessanterweise steigt das Empfinden von Einheit, je mehr Neuronen in unserem Gehirn mit einer Frequenz von 40 Hz synchron schwingen. Auch hierfür gibt es also eine neuronale Entsprechung.  In diesem Artikel habe ich einen Weg beschrieben, sich der Ganzheit anzunähern.

Ulrich Heister